Der Name stammt aus dem Lateinischen - botulus = Wurst und toxin = Gift. Von allen bekannten Giften ist Botulinumtoxin das giftigste, gleichzeitig aber auch die wirksamste therapeutische Substanz. Gebildet wird das Toxin von Bakterien (Chlostridien), allerdings nur unter Luftabschluss. Früher fanden diese Bakterien in nicht optimal konservierten Lebensmitteln - vor allem in eingemachten Bohnen oder eben in der Wurst - hervorragende Wachstumsbedingungen. Das führte dann zu einer als Botulismus bezeichneten Lebensmittelvergiftung. Mit diesem historischen Hintergrund hat das in der Dystonie-Behandlung eingesetzte Botulinumtoxin letztlich nur den Wirkmechanismus gemein: Das Toxin läßt Muskeln für eine bestimmte Zeit erschlaffen. Rückblickend ist es heute für die Patienten, die mit Botulinumtoxin behandelt werden, ein großer Vorteil, dass es zu Botulismus-Erkrankungen überhaupt gekommen ist und mitunter auch noch kommt, denn die erfolgreiche intensivmedizische Behandlung derartiger Vergiftungsopfer hat gezeigt, dass die Substanz zu keinen bleibenden Schäden führt.
Inzwischen kennt man sieben verschiedene Typen von Botulinumtoxin - A bis F -, von denen für die Therapie Typ A und seit kurzem auch Typ B verwendet werden. Der Wirkmechanismus ist eine sehr spannende Geschichte, jedoch dem Laien nicht ganz einfach zu erklären. Eine wichtige Rolle spielen dabei beispielsweise eiweißspaltende Proteasen, bestimmte Kopplungsprozesse und neuromuskuläre Übertragungsvorgänge. Verkürzt dargestellt geht es um folgendes: Zunächst wird das Toxin in den Muskel gespritzt und gelangt dann über eine Verbindungsstelle in den Nerv. Am Nervenende verhindert Botulinumtoxin dann die Freisetzung einer für alle Bewegungsabläufe notwendigen Substanz, das Acetylcholin. Wird dieser Überträgerstoff (Transmitter) blockiert, erschlafft der Muskel. Da diese Blockade dem Organismus eigentlich nicht gefällt, setzt er nach einer gewissen Zeit am Nervenende bestimmte Mechanismen in Gang, die letztlich den ursprünglichen Zustand wieder herstellen - das Nervenende regeneriert sich und ermöglicht dadurch wieder die Freisetzung von Acetylcholin. Das hat zur Folge, dass der betreffende Muskel wieder aktiv bzw. überaktiv wird.
Hier greift Botulinumtoxin
Die Botulinumtoxin-Behandlung hat die Therapie von fokalen Dystonien revolutioniert. In den späten 1970er Jahren experimentierte der Augenarzt Allan Scott in San Francisco als erster Arzt mit der Substanz und setzte sie dann zu Beginn der 1980er Jahre zunächst bei Kindern mit Blepharospasmus ein. Ab Mitte der 1980er Jahre begannen zunehmend auch Neurologen Botulinumtoxin einzusetzen. Die sich laufend verlängernde Liste der Anwendungsgebiete reicht von fokalen und zervikalen Dystonien über den hemifazialen Spasmus, die Zerebralparese, eine übermäßige Schweißproduktion bis hin zu Spannungskopfschmerz, Migräne und Faltenglättung. Für den therapeutischen Erfolg gilt, dass Botulinumtoxin dort am besten wirkt, wo es sich um einen exakt umschriebenen fokal begrenzten Bereich handelt.
Wenn ein Patient auf eine Wiederholungsinjektion mit Botulinumtoxin nicht mehr anspricht, ist es möglich, dass sich neutralisierend wirkende Antikörper gegen des Toxin im Organismus gebildet haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Antikörperbildung kommt, hängt von mehreren Faktoren ab. Benötigt ein Patient nur relativ geringe Dosierungen (z.B. beim Blepharospasmus) wird er vermutlich keine Antikörper bilden. Patienten mit Torticollis z.B., bei denen erheblich höhere Dosierungen eingesetzt werden müssen, liegt das Risiko bei ca. 5 Prozent. Daraus ergibt sich für den Arzt die Konsequenz, mit einer Dosierung zu behandeln, die gleichzeitig effektiv, aber dennoch so niedrig wie möglich ist. Eine sinnvolle Maßnahme, einer möglichen Antikörperbildung vorzubeugen, ist auch, die Intervalle zwischen den Behandlungen möglichst groß zu halten. Außerdem weiß man inzwischen, dass Präparate mit einem relativ geringen Eiweißgehalt seltener zu einer Antikörperbildung führen als Präparate mit einem hohen Gehalt an Eiweiß. Für ein nicht wieder erreichtes Ansprechen auf die Botulinumtoxin-Therapie kann es jedoch auch andere Gründe geben, wie z.B. ein Fortschreiten der Krankheit oder die Notwendigkeit, die Dosierung neu anzupassen. Eine weitere Möglichkeit, die allerdings eigentlich nicht vorkommen sollte: bei der Injektion wurde der überaktive Muskel nicht exakt getroffen.